
Mehr Likes, mehr Stimmen?
Wie gut nutzen die Spitzenkandidaten Social Media im Wahlkampf 2021?
„Die Gleichberechtigung von Männern und Frauen ist keine Sache, um die sich nur Frauen kümmern sollten“, schreibt Armin Laschet unter seine Instagram-Fotos, die ihn auf einer Kinobühne beim Brigitte-Live-Talk zeigen. 952 Personen gefällt das. Alice Weidel postet auf Facebook ein Bild von sich mit dem Schriftzug „Diskriminierung von Ungeimpften ist inakzeptabel!“ 23.174 Personen gefällt das. Das Bild, das Christian Lindner mit seiner Lebensgefährtin beim Wandern auf Instagram gepostet hat, hat 35.253 Herzen (alles Stand: 23. Juli, 10 Uhr). Der Wahlkampf ist in vollem Gange - auch auf Social Media.
Das Superwahljahr 2021 ist nicht nur spannend, weil Angela Merkel nach 16 Jahren nicht mehr antritt und es mit Annalena Baerbock zum ersten Mal eine Kanzlerkandidatin der Grünen gibt, sondern auch, weil durch die Coronakrise der Wahlkampf hauptsächlich digital stattfindet. Social Media spielt dadurch eine noch wichtigere Rolle als ohnehin schon. Hier finden politische Diskussionen trotz Pandemie statt. Der digitale Wahlkampf wird auch deshalb wohl noch mehr Einfluss haben als bei der letzten Wahl.
Die digitale Community der AfD ist besonders engagiert
In den nächsten Monaten erforscht das Tagesspiegel Innovation Lab in Kooperation mit Democracy Reporting International deshalb den Wahlkampf in den Sozialen Netzwerken. Dafür werden mithilfe eines eigens entwickelten Systems beständig Beiträge von und über die Spitzenkandidat:innen auf Social Media ausgewertet. Große Teile des Systems sind als Webseite für alle Interessierten einsehbar. Das macht den digitalen Erfolg der verschiedenen Parteien in konkreten Zahlen messbar – und es soll helfen, Kampagnen und Desinformation rechtzeitig zu erkennen.
Bei der ersten Auswertung der Statistiken fällt beispielsweise direkt auf: Die AfD-Spitzenkandidat:innen veröffentlichen im Vergleich mit den anderen nicht besonders viele Social-Media-Beiträge. Aber diese Beiträge werden extrem oft von anderen Nutzer:innen im Netz geteilt. Woran liegt das?
„Die AfD hat ihre Community von Anfang an so erzogen“, sagt Martin Fuchs, Politikberater und Social-Media-Experte. Nach Gründung der Partei haben sich die AfD-Mitglieder Möglichkeiten suchen müssen, ohne die klassischen Medien Aufmerksamkeit zu bekommen. Sie forderten ihre Fans deshalb von Beginn an dazu auf, Beiträge zu teilen und investierten in Community-Bindung.
Die AfD-Pressestelle sagte auf Tagesspiegel-Anfrage: „Die etablierten Parteien verfügen über mehr Geld und Personal als die AfD. In der Vergangenheit ist es uns durch das Engagement und die große Begeisterung unserer Unterstützer gelungen, diesen Nachteil in den sozialen Medien für uns auszugleichen.“
Likes und Stimmen sind nicht gleichzusetzen
Die AfD hat es aber durch ihre polarisierenden Beiträge auf Social Media auch leichter, als etwa Regierungsparteien mit neutraleren Beiträgen. „Langfristig betrachtet erreicht die AfD ihre eigene Community sehr gut, vor allem über Facebook“, sagt Fuchs. „Aber ihre Zahlen stagnieren mehr oder weniger seit zwei Jahren. Sie erreichen ihre Wähler:innen, aber kaum Neue. Sie haben auch wenig Möglichkeiten, ihre schon extremen Inhalte noch weiter zuzuspitzen und gleichzeitig in die Mitte der Gesellschaft vorzudringen, um langfristig regierungsfähig zu werden.“
Auch Johannes Hillje, der als Kommunikationsberater schon seit 2014 Politiker:innen bei digitalen Wahlkämpfen berät, sagt, die AfD habe eine besonders engagierte Community. „Die SPD versucht bei Telegram einen Kanal für treue Unterstützer aufzubauen, die aufgerufen werden, Inhalte zu teilen“, sagt Hillje. Der Aufbau einer solchen Community funktioniere besonders gut über Messenger wie WhatsApp, E-Mail oder Telegramm.
Erfolgreiche Social-Media-Auftritte würden aber nicht bedeuten, dass die Partei auch viele Stimmen bei der Wahl hole. „Das sieht man zum Beispiel an Christian Lindner“, sagt Martin Fuchs. „Er ist einer der erfolgreichsten Politiker:innen in den sozialen Netzwerken, aber die FDP muss trotzdem hart um Stimmen kämpfen.“
Wichtig sei trotz Social Media noch, dass die Spitzenkandidat:innen auch in den klassischen Medien um das Vertrauen der Wähler:innen kämpfen. Auch Johannes Hillje sagt: „Menschen entscheiden nicht auf Facebook, wen sie wählen.“ Aber das Internet sei als Informationsquelle gleichwertig wie das Fernsehen, junge Altersgruppen bezögen sogar mehr Nachrichten über Social Media als über das Fernsehen.
Außerdem spielen auf Social Media nicht nur die Spitzenkandidat:innen eine Rolle, sondern auch viele andere politische Accounts. Nach und nach werden auch in das Tagesspiegel Dashboard weitere Accounts einfließen. „Bei der SPD sind zum Beispiel Karl Lauterbach und Kevin Kühnert ganz wichtige Personen für die Meinungsbildung auf Social Media, bei der CDU ist es Philipp Amthor“, sagt Martin Fuchs.
Die Parteien müssten eng mit solchen Personen zusammenarbeiten, ohne dabei diejenigen Parteimitglieder zu enttäuschen, die sich vielleicht schon viel länger für die Parteien engagieren.
Die Accounts werden immer professioneller
Gleichzeitig müssten die Parteien dafür sorgen, dass Ausreißer wie Hans-Georg Maaßen (CDU) oder Boris Palmer (Grüne) durch ihre umstrittenen Beiträge nicht der Partei schaden. „Aber sie können diese Personen auch nicht dazu zwingen, nicht zu posten. Und ein Parteiausschlussverfahren dauert lange.“
Insgesamt seien die etablierten Parteien aber in den letzten Jahren deutlich stärker in ihrer Social-Media-Präsenz geworden. Auch, was die Zusammenarbeit mit Influencer:innen angehe oder Besuche der Spitzenkandidat:innen in Social-Media-Formaten.
Baerbock inszeniert sich als mögliche Kanzlerin
Johannes Hillje sieht ebenfalls eine starke Professionalisierung in der Social-Media-Kommunikation: „Auf Instagram hat sich die politische Kommunikation von einer Selfie-Kultur zu einer professionellen Inszenierung entwickelt. Früher gab es mehr spontane Bilder von Freizeitaktivitäten oder Essen, heute betreiben Politiker vor allem Image-Building“, sagt er. „Annalena Baerbock hat vor einigen Monaten noch Demo-Fotos gepostet, auf denen sie auf den Schultern von Anton Hofreiter saß. Seit ihrer Kanzlerinkandidatur versucht sie viel stärker Leadership, Seriosität und Kompetenz zu vermitteln.“
Durch diese Professionalisierung sei aber auch etwas an persönlichen Inhalten verloren gegangen. Statt Echtheit und Nähe gäbe es nun mehr Zitatkacheln, inszenierte Fotos und Schnipsel von Wahlkampfreden auf den Profilen. „Olaf Scholz und Armin Laschet fremdeln eher mit Social Media. Man merkt, dass sie nicht selbst kommunizieren“, sagt Hillje. Ihre Botschaften, die von einem Team vorbereitet werden, seien zwar professionell, wirken dadurch aber entpersonalisiert, was zu Social Media nicht so gut passe. „Sie verspielen dadurch das Potenzial der emotionalen Nähe und Authentizität“, sagt Hillje.
Fehlende Nähe
Baerbock habe da noch eine bessere Bildsprache und Inszenierung. Die Spitzenkandidat:innen der Linken seien eher schwach auf Social Media, aber dafür sei die Partei an sich ganz gut aufgestellt. „Am ehesten lebt Christian Lindner die Social-Media-Kultur. Das steigert die Authentizität seiner Beiträge.“
Aber lohnt sich die Arbeit überhaupt, wenn Youtuber wie Rezo mit nur einem Video eine höhere Reichweite bekommen, als alle Spitzenkandidat:innen zusammen? „Ja“, meint Martin Fuchs. Rezo sei nur mit wenigen Videos so erfolgreich und erreiche damit auch hauptsächlich eine junge Zielgruppe, die für die Wahlentscheidung nicht so relevant sei. Die Spitzenkandidat:innen könnten über mehrere Kanäle eine viel größere Zielgruppe erreichen. Und über den Wahlausgang entscheidet am Ende schließlich die Mehrheit.